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AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
§ 22 Beweislast (Regelung seit 18.08.2006)
Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Zum Gesetzesentwurf
!!IN ENTSTEHUNG!!

(Ergänzungen zum Originaltext sind blau!)


A. Auszug aus Entwurf BT-Drucksache 16/1780:


Entwurf der Bundesregierung

1. Vorschlag:


§ 22 Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass andere als in § 1 genannte, sachliche Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder die unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes nach Maßgabe dieses Gesetzes zulässig ist.



2. Begründung:


Zu § 22 (Beweislast)

Die Vorschrift regelt die Grundsätze der Beweislast in den Fällen unterschiedlicher Behandlung. Sie ist § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB nachgebildet und erfüllt die Vorgaben der Beweislastrichtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997. Die Vorschrift setzt Artikel 8 der Richtlinie 2000/43/ EG, Artikel 10 der Richtlinie 2000/78/EG und Artikel 10 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG um.

Auch nach den Grundsätzen des europäischen Rechts trägt derjenige, der sich auf eine Benachteiligung beruft, in einem Rechtsstreit die Beweislast für diese anspruchsbegründende Tatsache. Wenn er aber dem ersten Anschein nach diskriminiert ist und auf Grund der spezifischen Situation kein wirksames Mittel hätte, um seine Rechte durchzusetzen, kehrt sich die Beweislast um (so auch schon vor Erlass der Beweislastrichtlinie EuGH Rs. C-127/92 vom 27. Oktober 1993 – Enderby). Es entspricht ebenso den Grundsätzen des deutschen Prozessrechts, die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast danach zu bestimmen, im Einflussbereich welcher Partei sich bestimmte Vorgänge ereignet haben.

Der Kläger muss daher nach den allgemeinen Grundsätzen zunächst den Vollbeweis führen, dass er gegenüber einer an- deren Person ungünstig behandelt worden ist. Weiter muss er sog. Vermutungstatsachen vortragen, aus denen sich schließen lässt, dass diese unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 unzulässigen Grund beruht. Welche Anforderungen daran im Einzelfall zu stellen sind, können nur die Gerichte unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 138 ZPO beurteilen. Danach sind einerseits Erklärungen „ins Blaue hinein“ unzulässig, andererseits ist zu beachten, welche Informationen einer Prozesspartei überhaupt zugänglich sind. Ein tatsächlicher Anhaltspunkt kann sich etwa aus einer nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibung (§ 11) ergeben.

Auch die Ergebnisse von Statistiken oder so genannten Testing-Verfahren können im Rahmen der richterlichen Würdigung des Sachverhalts einen tatsächlichen Anhaltspunkt darstellen. Bei Testing-Verfahren wird z. B. eine Vergleichsperson eingesetzt, um zu überprüfen, ob ein Verhalten gegenüber einer Person, bei der eines der in § 1 genannten Merkmale vorliegt, gleichermaßen auch gegenüber der Vergleichsperson, bei der dies nicht der Fall ist, erfolgt. Der Beklagte hat dazu gemäß § 138 ZPO konkret Stellung zu nehmen. Soweit einzelne Tatsachen nicht – ausreichend – bestritten werden, kommt es auf Beweisfragen nicht an. Bleiben Vermutungstatsachen streitig, hat der Kläger sie mit den in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Beweismitteln nachzuweisen. Die Anforderungen an das Beweismaß werden dabei jedoch abgesenkt. Es genügt, wenn das Gericht ihr Vorliegen für überwiegend wahrscheinlich hält (siehe zur Auslegung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB BAG Urteil vom 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03, NJW 2004, 2112). Stehen dem Kläger dabei keine anderen Beweismittel, insbesondere Zeugen zur Verfügung, hat das Gericht alle zulässigen Möglichkeiten der Anhörung (§ 141 ZPO) und Vernehmung (§ 448 ZPO) des Klägers auszunutzen (BAG Urteil vom 6. Dezember 2001 – 2 AZR 396/00, AP zu § 286 ZPO Nr. 33; BGH Urteil vom 16. Juli 1998 – 1 ZR 32/96, NJW 1999 S. 363). Ist danach eine unzulässige Motivation der unterschiedlichen Behandlung zu vermuten, trägt der Beklagte die volle Beweislast dafür, dass doch kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt. Das betrifft vor allem das Vorliegen rechtfertigender Gründe. Im Falle einer Belästigung oder sexuellen Belästigung kommt regelmäßig keine Rechtfertigung in Betracht. Ein nachträglich vorgebrachter Grund ist nur dann geeignet, die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen, wenn besondere Umstände erkennen lassen, dass dieser Grund nicht nur vorgeschoben ist (Bundesverfassungsgericht vom 16. November 1993, Az. 1 BvR 258/86).


B. Stellungnahme des Bundesrates - BT-Drucksache 16/1852


Der Bundesrat hat in seiner 823. Sitzung am 16. Juni 2006 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Der Bundesrat begrüßt alle geeigneten Initiativen gegen Diskriminierung auf Grund von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Derartige Diskriminierungen haben in einer aufgeklärten und toleranten Gesellschaft keinen Platz. Der Bundesrat unterstützt die Bundesregierung zugleich dabei, ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft umgehend gerecht zu werden.

2. Der Bundesrat bedauert, dass die EU-Richtlinien gerade auch auf Grund der Haltung der früheren Bundesregierung unnötige, zu detaillierte und bürokratische Regelungen enthalten. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Artikel 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), darüber noch hinausgehende überflüssige Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben schafft, die nicht durch die zu Grunde liegenden europäischen Richtlinien zwingend vorgegeben werden. Der Bundesrat erwartet, dass EU-Richtlinien grundsätzlich 1:1 umgesetzt werden.

Die Richtlinien verlangen nicht, dass alle Kriterien, die nur für das Beschäftigungsrecht gelten sollen, für das gesamte Zivilrecht gelten.

Auf Grund dieser Ausweitungen würden die vorgeschlagenen Regelungen des AGG zu einem erheblichen Bürokratiezuwachs sowohl in der privaten Wirtschaft als auch im öffentlichen Bereich führen: Unternehmen und öffentliche Dienststellen müssten bestehende Beschwerdestellen beibehalten oder neue einrichten, die über jede behauptete Benachteiligung entscheiden müssten. Durch eine neue Dokumentationspflicht für den Arbeitgeber hinsichtlich sämtlicher Vorgänge, die auch nur entfernt diskriminierungsrelevant sein könnten, entstünde die Notwendigkeit, sämtliche Entscheidungskriterien für alle Phasen des Beschäftigungsverhältnisses niederzulegen, um sie im Streitfall nachweisbar darlegen zu können. Dieses führte zu einem erheblichen Mehraufwand für die Verwaltung und die Unternehmen.

Die im AGG vielfach verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe wie Benachteiligung, Belästigung, Eignung, Erforderlichkeit, Angemessenheit müssten durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden. Dieser Umstand führte über Jahre hinaus zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Es wäre mit einer Flut von Prozessen zu rechnen, die eine Überlastung der Gerichte zur Folge hätte.

Die Auferlegung bürokratischer und finanzieller Mehrbelastungen schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Der vorgelegte Entwurf eines Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes läuft den vielfältigen Bemühungen auf Bundes- und Landesebene zum Abbau bürokratischer und gesetzlicher Hemmnisse im Wirtschaftsleben zuwider und würde im Vergleich zu europäischen Mitbewerbern einen Standortnachteil schaffen.

3. Der Bundesrat hält daher eine Änderung des Gesetzentwurfs für erforderlich.

Insbesondere fordert der Bundesrat

(...)

c) die Beweislastregelung nach § 22 AGG neu zu fassen. Die derzeitige Fassung ermöglichte die Auslegung, dass es zum Nachweis von Diskriminierungen nach dem Gesetzentwurf bereits ausreichte, Tatsachen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, „glaubhaft“ zu machen;

(...)


C. Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)- BT-Drucksache 16/2022


1. Vorschlag der Beschlussempfehlung



7. § 22 wird wie folgt gefasst:

㤠22 Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“

2. Begründung der Beschlussempfehlung


Zu Nummer 7

Die Diskussion des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat gezeigt, dass der – bereits in § 611a BGB – verwendete Begriff der „Glaubhaftmachung“ oftmals dahingehend missverstanden wird, er beziehe sich auf § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) und lasse die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel zu. Es ist insoweit eine sprachliche Neufassung zur Bestimmung des Beweismaßes erfolgt. Dies ist eine erforderliche Klarstellung für die Praxis; eine Rechtsänderung ist damit nicht verbunden. Die Vorgaben der einschlägigen Richtlinien werden nach wie vor erfüllt.
Auch nach den Grundsätzen des europäischen Rechts trägt derjenige, der sich benachteiligt fühlt, in einem Rechtsstreit die Beweislast. Grundsätzlich hat derjenige, der sich zur Stützung eines Anspruchs auf Tatsachen beruft, diese zu beweisen. Die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung trifft daher auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes grundsätzlich denjenigen, der sich diskriminiert glaubt. Bei den zu beweisenden Indizien handelt es sich dabei um Hilfstatsachen, d. h. tatbestandsfremde Umstände, die den Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals selbst rechtfertigen. Bewiesen werden muss daher zunächst, dass der Benachteiligte gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist. Damit ist ein Indiz für eine Ungleichbehandlung aber noch nicht bewiesen. Dies ist aber der Fall, wenn ergänzend sog. Vermutungstatsachen vorgetragen werden, aus denen sich schließen lässt, dass die unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 Abs. 1 unzulässigen Grund beruht. Dann erst ist der Anscheinsbeweis erbracht und ein Indiz für die vermutete Benachteiligung bewiesen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kehrt sich die Beweislast nämlich um, wenn derjenige, der dem ersten Anschein nach diskriminiert ist, sonst kein wirksames Mittel hätte, um die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durchzusetzen (so EuGH, Rs. C-127/92 vom 27. Oktober 1993 – Enderby).

D. Fortgang


Der Bundestag verhandelte hierzu am 29.06.2006. Es gab eine würzige Abschlußdiskussion (Protokoll vom 29.06.2006). Letztlich wure das Gesetz so wie vom Rechtsausschuß vorgechlagen, beschlossen.

Der Bundesrat hat am 07.07.2006 beschlossen, keinen Einspruch einzulegen.

Der Bundespräsident unterschrieb sodann (erst) am 14.08.2006, weil noch einige redaktionelle Änderungen durchgeführt wurden.

Folglich erging das Gesetz und auch dieser § inhaltlich so, wie vom Bundestag am 29.06.2006 beschlossen.
In dieser Kommentarsreihe werden insbesondere folgende Abkürzungen und Quellen verwendet:
a.A. = Anderer Ansicht
AG = Arbeitgeber (evtl. auch einmal "Aktiengesellschaft")
AGBs, AGB´s = Allgemeine Geschäftsbedingungen
AG = Amtsgericht
ArbG = Arbeitsgericht (gelegentlich auch für Arbeitgeber!)
ArbGG = Arbeitsgerichtsgesetz
AT = Austria, Österreich
BAG = Bundesarbeitsgericht (BRD)
BGB = Bürgerliches Gesetzbuch (BRD)
BGH = Bundesgerichtshof (BRD)
BRD = Bundesrepublik Deutschland
BVerwG = Bundesverwaltungsgericht
CH = Schweiz
Dornb./W.- ... Dornbusch/Wolff-(Bearbeiter), KSchG, arbeitsrechtliche Kurzkommentare, Luchterhand-Verlag
EuGH = Europäischer Gerichtshof
EU = Europäische Union
h.M. = Herrschende Meinung
KSchG = Kündigungsschutzgesetz
LAG = Landesarbeitsgericht
OGH = Oberster Gerichtshof (Österreich)
OLG = Oberlandesgericht (BRD)
OVG = Oberverwaltungsgericht (BRD)
Pal.- ... = Palandt-(Bearbeitername), Kurzkommentar zum BGB, C.H. Beck-Verlag
PM = Pressemitteilung
m.M. = Mindermeinung
Staudinger-... = Staudinger-(Bearbeiter, Kommentar zum BGB
str. = strittig, streitig
u.a. = unter anderem
u.U. = Unter Umständen
ZPO = Zivilprozeßordnung
Urteile nach 21.08.2006, also nach Abschluss dieser Kommentierung
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